Dienstag, 11. Oktober 2011

InGAAA fait des études de sucreologie et vient de Cologne

Oder für unsere nicht französisch-sprachigen Freunde: InGAAA studiert Zuckerologie und kommt aus Köln.

Mit dieser denkwürdigen Aussage möchte ich meinen Bericht über die Ankunftswoche für internationale Studenten an der Université de Montréal einleiten. Diese vom "Büro für internationale Studenten" organisierte Woche liegt mittlerweile schon über einen Monat zurück und war sehr ereignisreich. Ein Grund dafür, dass ich mich so lange um diesen Blog-Eintrag herumgedrückt habe. Inzwischen wurde ich von anderen fleißigen Auslands-Bloggern überholt (ich weiß, bloggen ist kein Wettbewerb). Der Trick ist, nicht immer so lange zu warten bis sich ein riesiger Berg aufgetürmt hat. Diese Weißheit lässt sich ohne Probleme auch auf den Haushalt, lernen und andere Lebensbereiche übertragen. Es ist erstaunlich, dass ich in all diesen Lebensbereichen so wunderbar prokrastinieren kann.

Jetzt aber zum Wesentlichen, wie immer chronologisch:

Montag (22.08) ging es mit einer Infoveranstaltung los. Ab 8.30 konnte man kommen, Kaffee trinken und Formulare für seine Akte im Büro für internationale Studenten (BEI = "Bureau des étudiants internationaux") ausfüllen. Leider war mir meine Postleitzahl hier entfallen (sie besteht aus einer Buchstaben-Zahlen-Kombination, der mein Gehirn ebenso renitent den Speicherplatz verwehrt wie meiner neuen Handynummer, meinem code permanente (Immatrikulationsnr.) und meinem code d'accèss). Doch beim Abegeben des Formulars blieb keinerlei Möglichkeit für Anmerkungen bezüglich fehlender Informationen. Die Leiterin (?) des BEI befahl uns alle in den Hörsaal, damit wir uns dort den Vortrag zu ALLEM anhören, was man als internationaler Student wissen muss. Die gute Frau spricht einen der krassesten Québécois-Akzente, den ich bisher gehört habe und das Ganze in zehnfacher Geschwindigkeit. Dies ist vielleicht als erste Schockkonfrontation für ausländische Studenten gedacht. Die Gruppe der ausländischen Studenten besteht zu gefühlten 90% aus Franzosen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da für sie einerseits die Sprachbarriere entfällt (was aufgrund des starken Akzents jedoch nicht ganz so der Fall ist) und sie andererseits nicht den Studiengebührenaufschlag für internationale Studenten bezahlen müssen.

Nach der Infoveranstaltung, die einen mit dem Übermaß an Informationen zu erschlagen drohte, gab es eine Campusführung von ein paar Mädels aus der Studentenverbindung, die das BEI unterstützt.
Die Eishalle, im Hintergrund der Pavillion Marie Victorian, in dem ich jetzt arbeite.

Führung auf dem Weg zum Sportgebäude.


Ich dachte, ich hätte in der Willkommenswoche mehr und vor allem aussagekräftigere Fotos gemacht. Vertan!

Mittags gab es die ganze Woche BBQ auf dem Place de la Laurentienne. Dort fanden auch größtenteils die Initiationen der einzelnen Fakultäten statt. Diese Rituale zur Begrüßung der neuen Studenten muteten zum Teil sehr merkwürdig an und bestehen zu einem großen Teil aus mehr oder weniger ausgefallenen Kostümierungen, lauten Brüllgesängen und mehr oder weniger demütigenden Aufgaben für die neuen Studenten (zum Beispiel mit Gaffer Tape als Gruppe zusammengeklebt werden und dann irgendwo hinrennen). Sicherlich wird dadurch der Zusammenhalt der neuen Kohorte erhöht und alle anderen haben was zu lachen.




Ich bin jedenfalls nicht böse darum, dass unsere Initiation durch die Organisation einer Weihnachtsfeier für das CERNEC (Centre de recherche en neuropsychologie et cognition) vollzogen wird. Das gehört aber in einen anderen Post (ich spüre, wie ich mich hier langsam verstricke - ich hoffe dies geschieht nicht auf Kosten des Lesekomforts...).

Nachmittags habe ich dann meinen ersten Original Québécoisen Film geschaut - und er war großartig! Wer ihn irgendwo auftreiben kann: unbedingt gucken!"La grande seduction"... ich lasse das Video sprechen.

 


Danach gab es noch eine Bibliotheksführung, die ich mir jedoch aufgrund von leichter Reizüberflutung ersparte. Glücklicherweise muss ich mich um von der Uni heimzukommen nur auf mein Fahrrad setzen, 20 Minuten warten und ab und an vor einer Ampel anhalten. Der Hinweg gestaltet sich dementsprechend sehr anstrengend, da ich den Berg Richtung Uni (der sogenannte Mont Royal - woher hat die Stadt nur ihren Namen?) hochkraxeln muss. Während ich in den ersten Tagen noch fortwährend von anderen Fahrradfahrern überholt wurde, während ich in einer Geschwindigkeit, bei der das Fahrrad Mühe hat noch aufrecht stehen (!) zu bleiben, den Berg hochkroch, habe ich mich mittlerweile gut daran gewöhnt und werde nur noch von fitteren Fahrern überholt. Außerdem bin ich auch nicht mehr so erschöpft, wenn ich ankomme, sondern fühle mich von der morgendlichen Bewegung "frisch und erholt" (ein Zitat aus meiner Zeit im Schlaflabor: dort wurden die Probanden gefragt, ob sie sich nach dem schlafen frisch und erholt fühlen - ein super Ausspruch, wie ich finde).

Dienstag ging es erst mittags los, da sich eine Punkte des Programms mehrmals in der Woche wiederholten. Nach einem Veggie-Burger Frühstück/Mittagessen wurden wir in einem Vortrag über die Politik in Québec aufgeklärt. Obwohl der Dozent das Thema spannend vermittelt hat, wurde es nach 2 1/2 Stunden etwas dröge und stickig im Saal, so dass Muriel, eine Schweizerin, die ich unmittelbar zuvor kennen gelernt hatte und ich uns erneut gegen die Bibliotheksführung und dafür für ein Bier in der Karaoke-Bar entschieden. Ich freue mich an dieser Stelle meine Leser nicht auf einen späteren Zeitpunkt bezüglich der Bibliotheksführung zu vertrösten, denn ich habe es gar nicht mehr "auffe Kette gekriecht" sie zu besuchen.
In der Karaoke-Bar saßen wir an einem Tisch mit Mégan aus der Karibik und Felipe aus Brasilien. Wir bestellten uns gemeinsam einen Pincher Bier, der euch an dieser Stelle nicht vorenthalten werden soll.
Bierpincher: ja, es gibt ihn wirklich und Schaum wird allgemein überbewertet. Ich fands supi!
Bezüglich des Karaoke-Wettbewerbs begann es mit der üblichen sozial erwünschten Bescheidenheit. Keiner traute sich so Recht, die ersten Teams wurden durch die Betreuer gestellt. Nach und nach trauten sich immer mehr Leute auf die Bühne, zunächst in Riesentruppen, später gab es sogar einige leidenschaftlich geschmetterte Solos. Wir einigten uns ein wenig schüchtern, um nicht zu sagen feige auf "We are the chmapions" von Queen und hier sieht man uns kurz nach unserem Auftritt.
Megane, Muriel, InGA, Felipe. Evtl. Augenfehlstellungen sind eine optische Täuschung und auf meine mangelnde Fotobearbeitungs-Fähigkeiten zurückzuführen...






Gewonnen haben wir berechtigterweise nicht, aber es war "le fun" wie man hier sagen würde. Später wollten wir eigentlich noch Billy Jean von Micheal Jackson performen, was mit Sicherheit legendär gewesen wäre, aber leider war der Andrang aufs Mikrofon dann schon so groß, dass nicht mehr alle drankamen bevor wir die Bar verlassen mussten, weil eine andere Gruppe internationaler Studenten kam.

Mittwoch morgen konnte ich nicht am Programm teilnehmen, weil wir ein Treffen mit allen neuen Master-/ Ph.D. Psychologie Studenten hatten. Dort wurde uns zunächst mitgeteilt, dass der Methodenkurs gestrichen wurde. Dies hat für mich noch weitreichende Folgen, da meine Betreuerin, die sehr besorgt um  meine Ausbildung ist, sich keinen anderen Kurs für mich als Ersatz vorstellen kann und ich den Kurs daher erst nächstes Jahr im Herbst machen kann.Vorteilhaft daran ist jedoch, dass ich so dieses Trimester nur einen Kurs habe und mich ganz auf meine Forschung konzentrieren kann. Ansonsten gab es auf dem Treffen für mich nichts großartig Neues, da ich als alter Kontrollrolf natürlich vorher schon die Prüfungsordnung gelesen hatte. Man kennt mich ja. Ich habe dort dann zwei Mädchen kennen gelernt, Valerie und Gaëlle, die auch jetzt ihren Master anfangen und beide wollten ihren Studentenausweis machen lassen. Eigentlich hatte ich das für den Tag nicht geplant und war dementsprechend nicht auf das Foto vorbereitet, wollte diese Eitelkeit jedoch den anderen gegenüber nicht zugeben. Nun sehe ich also auf meinem Studentenausweis ein bisschen nackig aus, weil ich an diesem wirklich heißen Tag nur ein fliddeliges (ich bezweifle, dass "fliddelig" ein richtiges Wort ist, aber ihr versteht  mich) Spagetthi-Top getragen habe. Von dem wahnsinnigen Grinsen, das dazu kommt ganz zu schweigen. Aber ein Studentenausweis mit einem Foto für das man sich nicht schämen muss wäre auch was ganz Neues.

Bevor das Programm weiterging hatte ich etwas Zeit und stöberte daher ein wenig im Buchladen in der Uni-Bibliothek. Es gibt dort eine extra Sparte mit Romanen von Autoren aus dem Québec, die mein interesse weckte. Ich suchte mir ein Werk aus, von dem ich ausging, dass es komisch ist und fragte die Verkäuferin, ob sie es gelesen habe und ob sie es mir empfehlen kann. Sie kannte es nicht, also erklärte ich ihr, dass ich ein Buch von einem lokalen Autor suche, in dem auch ein bisschen die Mentalität hier vermittelt wird. Damit hatte ich das richtige Stichwort genannt und aus dem hinteren Teil des Ladens sprang eine freundliche junge Dame hervor, deren Leidenschaft die québécoise Literatur ist. Begeistert rannte sie mit mir duch den Laden und häufte Bücher an, die ich "unbedingt lesen muss". Ich kam mir so ein bisschen vor wie der Typ in der berühmten Szene in high fidelity, der von Jack Black die LPs aufgebrumt bekommt ("Alles wird gut, Mann"). Letzendlich entschied ich mich für einen Klassiker von Michel Tremblay http://de.wikipedia.org/wiki/Michel_Tremblay, einem der berühmtesten québécoisen Autoren, mit dem Titel "un ange cornu avec des ailes de tôle" (ein gehörnter Engel mit Flügeln aus Blech (?)). Er erzählt darin über seine Kindheit und Jugend und wie er seine Leidenschaft zum lesen entwickelt hat - und das ganze spielt in der Straße an deren Ecke ich wohne! Ein Kracher!

Nachmittags wurde dann wieder ein québécoiser Film gezeigt, was ich mir natürlich nicht entgehen lassen konnte. Die haben hier wirklich eine sehr ausgedehnte Filmkultur, man kann an der UdeM auch "cinéma" studieren und bisher haben mich alle (beiden) Filme, die ich gesehen habe sehr überzeugt. Ich mag diese ganz spezielle Art von Humor. Mittwoch wurde jedenfalls "Bon Cop, Bad Cop" gezeigt, der sehr ausgeklügelt die Stereotype Québec - Ontario gegenüberstellt. Wenn ihr irgendwie drankommt (und ich gehe davon aus, dass meine Empfehlung euch nicht eher ruhen lässt als ihr die DVD in euren triumphierenden Händen haltet), guckt ihn unbedingt im zweisprachigen Original (ggf. mit Untertiteln in einer Sprache, der Akzent könnte selbst für geübte Französisch-sprecher kniffelig sein). Hier ein kleiner Vorgeschmack:
Danach habe ich vielleicht das Sportzentrum CEPSUM besichtigt, vielleicht war das aber auch erst am Donnerstag. Jemand, der dermaßen amnestisch ist wie ich, sollte sich, wenn er sich schon nicht regelmäßig um seinen Blog kümmert, wenigstens ein paar Notizen machen. Aber für euch macht es ja eigentlich auch keinen Unterschied, wann es nun genau gewesen ist. Egal. Es geht ums Prinzip. Das CEPSUM (Complexe sportif de l'Université de Montréal) befindet sich praktischerweise direkt neben dem Pavillon Marie-Victorin, in dem die Psychologie-Fakultät angesiedelt ist. Das Ding ist einfach RIESIG und beinhaltet eine große Schwimmhalle mit 3 Becken, mehrere Mehrzweckfelder für Hallensport, eine Kletterwand, Squash-Zellen, Tennisplätze, ein Fitnessstudio und und und. Die Schwimmhalle kann von Studenten kostenlos (!!!) benutzt werden, ebenso kann man sich kostenlos Felder und Squash-Zellen reservieren. Sport ist hier an den Universitäten, ähnlich wie in Amerika, viel wichtiger als bei uns. Die jeweiligen Profimannschaften in den einzelnen Disziplinen (genannt "carabins") trainieren unheimlich viel und zu den Spielen/Wettkämpfen kommen unglaublich viele Zuschauer. Hinter dem CEPSUM befindet sich auch ein Stadion, dass im Rahmen meines ersten Football Spiels vor ein paar Wochen als Zuschauer besucht habe. Ich habe da eine Menge Fotos gemacht und vielleicht gibt es in einigen Monaten einen Blog-Eintrag dazu, wenn ich dort angelangt bin. Das CEPSUM bietet mir also einen Ausgleich zur Poutine und eine Ergänzung zu meiner täglichen Fahrrad (Tor)tour.

Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um den Titel des Posts ein wenig näher zu erklären. Die alles entscheidende Frage, die ich häufig gestellt bekomme ist, "wie klappt es denn mit dem Französisch?". In der Willkommenswoche war ich das erste mal dauerhaft auf meine Französischkenntnisse angewiesen, weil alle Veranstaltungen auf Französisch waren und die anderen internationalen Studenten (= Franzosen) auch nur französisch geredet haben. In der Woche habe ich so richtig gemerkt, wie ich Sprünge mache, wie Vokabeln, die verschüttet waren, wiederkommen. Ich habe angefangen französisch zu träumen. Leider habe ich nicht "auf französisch" geträumt, sondern mir schwirrten nur nächtelang Wörter und Satzfetzen im Kopf herum. Letzendlich hat meine wunderbare Freundin Sina Recht gehabt mit dem Ausspruch "Zu Beginn wirst du dich etwas durchbeißen müssen, aber es wird schon gehen." Leider geraten meine Französischfähigkeiten gerne genau dann ins Schwanken, wenn wichtige und lächerlich simple Aussagen getätigt werden müssen. Zuallererst: mein Name. So wunderschön ich ihn auch finde (dezentes Lob an meine Eltern), hätte es sicherlich Namen gegeben, die international einsatzfähiger sind (auch außerhalb von Skandinavien). Ich muss ihn immer mindestens dreimal sagen, was aber auch daran liegt, dass ich ihn nicht vernünftig französisch aussprechen kann. Es läuft dann meistens so ab: "Tu t'appelles comment?" - "Inga" - "InGEE?" - "Inga" - "Comment?" - "Inga" - "Aaaaaahhhhh, InGAAAA!". Die zweite Silbe muss mehr betont werden, sonst wird das hier nichts mit meinem Namen. Aber wenn man sich erstmal 22 Jahre an eine andere Aussprache des eigenen Namens gewöhnt hat ist das leichter gesagt als getan. Bei der scotiabank haben sie das Problem ganz umgangen und einfach alle Konten auf Sophia angemeldet. Sie haben wahrscheinlich das Inga in meinem Pass für ein bizarres deutsches Wort ohne tieferen Sinn gehalten. Das wäre also meine erste sprachliche Unfähigkeit, noch schlimmer gestaltet sich jedoch meine Auskunft über mein eigenens Studienfach. Als ich vor einigen Jahren einmal das Wort "Psychology" englisch aussprechen wollte, gab mir eine Freundin in einem denkwürdigen Vortrag und unter Gewaltandrohungen den gut gemeinten Hinweis NIE WIEDER "Pseikologji" zu sagen, weil es den Laut Ps im englischen nicht gibt. Seitdem achte ich penibel darauf diesen  Kardinalfehler zu vermeiden. In einem Anfall linguistischer Verwirrung habe ich diese Regel jedoch unzulässig auf das Französische verallgemeinert und spreche deswegen das P am Anfang von Psychologie häufig nicht aus. Dies führte dazu, dass die meisten Leute mich gar nicht verstanden und andere dachten, ich würde etwas mit Zucker studieren (Sucreologie) - in Zeiten von kreativen Studienfachneugestaltungen im Rahmen von Bachelor und Master sicherlich gar nicht so abwegig.. Der dritte Teil des Titels bezieht sich darauf, dass es ziemlich schwierig ist hier jemandem zu erklären, wo ich genau herkomme aus Deutschland. Das kein Schwein Witten kennt, daran bin ich schon gewöhnt, aber dass ich auch mit Bochum / Dortmund / Essen niemanden aus der Reserve locken kann ist neu für mich. Innerhalb kürzester Zeit bin ich deshalb dazu übergeganen zu sagen, dass ich aus der Nähe von Köln komme, was wiederum von den anderen auf ein einfaches "InGA kommt aus Köln" verkürzt wurde. Aber es könnte schlimmer sein, schließlich ist Köln eine wunderschöne Stadt und wenn ich in kanadischen Dimensionen denke, wohne ich ja auch wirklich sehr nah an Köln.

Donnerstag morgen gab es eine Veranstaltung zum legendären "Choc culturel", über deren Besuch ich jetzt - mehr als einen Monat später - sehr froh bin! Ich kam ein wenig zu spät während in Kleingruppen bereits die Unterschiede zwischen Montréal und dem Heimatland (in 90% Frankreich) erarbeitet wurden. Soweit ich mich erinnere, waren die Hauptpunkte zunächst einmal die Sprache, bzw. für die Franzosen der Akzent, das Essen (das hier im Vergleich zu Europa sehr viel teurer ist, vor allem Obst, Milchprodukte (Käse!) und Alkohol sind unbezahlbar), die Freundlichkeit der Menschen (siehe meine vorherigen Blogeinträge), die krassen Sprünge in der Temperatur (es ist einfach unmöglich sich hier vernünftig anzuziehen, gerade im Herbst. Morgens sind es 2°C, Mittags in der Sonne 28°, im Schatten 15C° und abends 8C°.), die Organisation der Kurse an der Uni (wenige Kurse, für die aber unglaublich viel getan werden muss: mehrere Hausarbeiten, Präsentationen und Prüfungen (alles wohlgemerkt im Plural) pro Kurs), das undurchschaubare Busnetz (Abfahrtszeiten und Zielrichtung sind der Haltestellenur selten zu entnehmen, die Verbreitung dieser Informationen erfolgt hauptsächlich über Mundpropaganda. Selbst unsere québécoisen Betreuerinnen, zwei nette Psychologinnen, konnten uns damit nicht weiterhelfen und baten ihnen Bescheid zu sagen, falls wir jemals das System dahinter begreifen sollten.) und noch einiges, an das ich mich jetzt konkret nicht mehr erinnere. Dann erfolgte ein Vortrag über die verschiedenen Phasen des Kulturschocks.
1.) Alles ist toll (siehe meine ersten Blogeinträge)
2.) Heimweh und Nostalgie (wellenartig auftauchend)
3.) Adaptation
Außerdem verbreiteten sie einige Ratschläge, um dem Schock entgegenzuwirken, die mich allerdings eher unter Druck setzten, nach dem Motto: schnell in Aktionismus verfallen, um dem Schock entgegen zu wirken. Sie beschrieben die Symptome, von denen ich vor allem die Müdigkeit bestätigen kann: ich war bestimmt den kompletten ersten Monat hindurch ständig schlapp, aber auch das hat sich mit der Zeit gelegt. Einen Satz habe ich jedenfalls ganz besonders im Gedächtnis behalten und er dient mir als Mantra, wenn ich mal wieder mit einer Situation überfordert bin: "Je peux fonctionner, même si je ne comprends pas vraiment le système", - "Ich kann funktionieren, auch wenn ich das System nicht wirklich verstehe." C'est ça!

Danach gab es Pizza, kleine Babymöhrchen (die gibt es hier überall fertig geschält und abgepackt zum mitnehmen), Saft, Sojakakao und Kekse vom CÈSAR (Centre étudiant de soutien à la réussite), einem Zentrum, dass medizinische und psychologische Unterstützung für Studenten anbietet, aber auch Schreibwerkstätte und ähnliches. Pizza gibt es hier oft als Snack bei Veranstaltungen und zwar in einer ganz droligen Art und Weise: dicker, rechteckiger Hefeteig, etwa so groß wie ein großes Schneidebrett, mit Tomatenpaste drauf und in pralinengroße Stücke geschnitten. Nur für meine Schwester bennene ich das jetzt mal ganz spontan als Canapé - es gibt in unserer Familie nämlich einen uralten Konflikt über die Definition eines Canapés - und mit diesem neuen Vorschlag werde ich sie sicher zum lachen bringen.


Nachmittags habe ich an einer Stadtrundfahrt "de la montagne au fleuve" - also "vom Berg bis zum Fluss" teilgenommen. Erfreulicherweise fuhren wir mit einem Schulbus durch die Gegend, so einem richtig schönen, gelben, den man aus amerikanischen Filmen kennt. Die Führerin war sehr engagiert und brachte die Informationen amüsant rüber, zumindest so lange ich folgen konnte. Leider muss ich mich auf das Französische noch ziemlich stark konzentrieren, um nicht mit den Gedanken abzuschweifen während geredet wird. Unfreiwilliger Höhepunkt der Tour war übrigens ein Unfall, in dem der Busfahrer beim Rückwärtsfahren einen Laternenmast umnietete, der direkt einknickte wie ein Strohhalm. Noch besser war, wie er diesen Zwischenfall vollkommen gelassen hinnahm.

Sankt Lorenz Strom


Montréal vom "Mont-Royal" aus


Kunstwerk in Gedenken an Jaques Cartier, den Entdecker Kanadas.

Dieses Foto ist Pflicht für jeden Touristen. Die Eichhörnchen hier sind einfach riesig und total zutraulich!


Freitag morgen gab es dann noch einmal einen Vortrag über die Entwicklung Québecs, der vor allem auf die Sprache einging und die Gründe dafür, warum französisch hier als Amtssprache so vehement beschützt wird. Die Präsentation beinhaltete eine Auflistung von gefühlt allen Gesetzen, die seit der Gründung von Québec verabschiedet wurden und beanspruchte meine Übersetzungskünste für ganze drei Stunden. Ich musste hier zunächst immer zweimal übersetzen, um die Québécois zu verstehen: einmal Québécois -> Französisch und dann Französisch -> Deutsch.
Die Ankunftswoche wurde dann mit einem "cocktail de bienvenue", also einem Willkommenscocktail beendet. Cocktail bedeutet hier übrigens nicht Cocktail in unserem Sinne, sondern steht einfach nur für ein alkoholisches Getränk, in diesem Fall Rosé Wein. Bei Getränken unterscheidet sich das québécois recht deutlich vom französisch, das in Frankreich gesprochen wird. Das Wort "breuvage" für Getränk (im deutschen in etwa: Trank), wird in Frankreich zum Beispiel kaum verwendet. Ebenso steht hier "Liqueur" für Getränke allgemein, oder Limonaden, während es in Frankreich, ähnlich wie in Deutschland eher für alkoholische Liköre verwendet wird. Hier werden allgemein mehr alte französische Worte und Redewendungen verwendet, die in Frankreich nicht mehr so "up to date" sind. "À tantôt" für bis ganz bald sagt in Frankreich zum Beispiel niemand mehr. Ich stelle mir den Unterschied ein bisschen so vor wie zwischen Deutschland und Österreich (teilweise vielleicht auch Bayern), wo man z.B. Bub sagt.
Zum Willkommenscocktail wurden jedenfalls kleine Snacks gereicht, Reden von vielen wichtigen Personen gehalten (Zusammenfassung: die Université de Montréal ist einfach ne supi Uni und freut sich über ihre internationalen Studenten) und ein bisschen Merchandise verlost. Was Produkte mit Uni-label drauf angeht, überragen die Unis in Nordamerika unsere Produktpalette bei weitem. Sämtliche Kleidungsstücke, Taschen, Flaschen, Schreibmaterialien, Picknickdecken etc. gibt es mit Uni-label. Ich habe mir schon eine UdeM Laptophülle gekauft und eine Trinkflasche, mit der ich allerdings nicht zufrieden bin, da der daran besfestigte Deckel so schwer ist, dass ab einem gewissen Füllstand die Flasche umzukippen beliebt.

Abends bin ich dann mit Roxane, einer belgischen Architektur-Studentin und Jasmin, einer Deutschen, die hier auch Psychologie, allerdings im Bachelor, studiert, Nudeln essen gegangen. Die beiden sind Teil einer WG, zu der auch noch Larissa, eine Brasilanerin gehört. Sie haben sich in der Ankunftswoche kennen gelernt und ohne Auto eine Wohnung komplett neu eingerichtet. Respekt! In dem Nudelrestaurant haben wir dann noch Jasmins deutsche Freundin Helena getroffen und Stéphanie, eine Québécoise, die jetzt schon in Deutschland ist, um dort als Lehrerin zu arbeiten. Wir waren eine lustige Runde und ich habe natürlich nicht versäumt Stéphanie auf die deutschen Bierspezialitäten einzustimmen, die sie nicht verpassen darf (Radler, Alster, Kre...).

Mit Roxane war ich dann am Samstag Abend in Montréal unterwegs und wir haben ihren Cousin Nathan getroffen, der auch ein Jahr hier ist. Die Straße St Laurent war für Autos gespeert und lauter kleine Stände mit Essen, Trinken und Nippes oder auch Massage-Liegen, auf denen man sich draußen massieren lassen konnte, waren aufgebaut. Im Sommer wird hier fast jedes Wochenende irgendeine Straße für ein Straßenfest oder ein Festivals gesperrt. Auf einem kleinen Platz an einer Straßenkreuzung fand ein winziges Konzert mit verscheidenen Künstlern statt, zuletzt trat noch eine Zauberkünstlerin auf. Roxane und ich kauften uns eine Dose Bier "auf die Faust" (wie man im Ruhrgebiet sagen würde) und wurden zudann mit dem Problem konfrontiert, dass man in Montréal auf der Straße nur dann Alkohol trinken darf, wenn man etwas dazu isst (ich hatte im Zusammenhang mit dem Piknic Electronik schonmal darüber berichtet). Zunächst behalfen wir uns notgedrungen mit einem Plastikbecher (frei nach dem Motto: "das ist nur Apfelschorle"), bis ein liebenswerter Kioskbesitzer uns mit den berühmten braunen Papiertüten zum drumwickeln ausstattete, die man aus amerikanischen Filmen kennt. Diesen Anblick kann ich euch natürlich nicht ersparen und damit: Santé!

4 Kommentare:

  1. Ich schreibe nur: Was lange währt wird endlich gut :-) Das mit den Canapes fand ich zum Brüllen. Ich bin mal gespannt, was so im September passiert ist ;-) (Ob Du wohl bis zum Ende der zwei Jahre die Zeit aufholen wirst oder in Deutschland dann noch ein Jahr am Blog weiterschreiben musst? Ich will ja nicht ohmen aber als alter Pragmatiker kann ich nur den altbekannten Mut zur Lücke empfehlen ;-)

    AntwortenLöschen
  2. Ach, ich denke, dass ich es vielleicht irgendwann aufholen kann, schon allein deshalb, weil mein Geld für Reisen (ja, ich habe noch ein paar Reisen gemacht, siehe Blog Nr. 153) erstmal aufgebraucht ist und es sich wohl auch bald hier zur Normalität einpendeln wird. Sonst führe ich das Ganze in Deutschland fort. Du kennst ja meine Einstellung zu Lücken... ;-)

    AntwortenLöschen
  3. Sehr cool übrigens das Foto von dem Busfahrer, der so lakonisch vor dem umgeknickten Laternenpfosten steht...

    AntwortenLöschen
  4. Du kannst die Lücken ja immer noch später aufholen

    AntwortenLöschen