Mein letzter
Blogeintrag ist nun schon fast ein Jahr her und mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit hat auch der letzte unter euch den Glauben an mich verloren,
bzw, hoffentlich nur den Glauben an diesen Blog.
Ha! Und gerade
als ihr es am wenigsten erwartet komme ich auf einmal wieder aus der Ecke
hervor. Überraschung!
Ich hatte es
aufgegeben. Ich fühlte mich schlecht deswegen, immer mehr Anekdoten stapelten
sich auf, die erzählt werden wollten – oder von denen ich annehme, dass sie
erzählt werden wollen. Mit längerem Abstand vom letzten Blogeintrag fühlte ich
die Erwartungshaltung meiner Leserschaft steigen („Meine Güte, jetzt lässt sie
sich aber Zeit. Da erwarte ich jetzt aber auch nen Blogeintrag der mich vom
Hocker haut, dooh“). Doch letztendlich dachte ich mir: es ist unwahrscheinlich,
dass ihr nach einem Jahr denkt: „Was, das ist alles? Jetzt bin ich aber
enttäuscht. Ich hätte bevorzugt, dass sie lieber gar nichts mehr schreibt.“
Bref (frz.: wie auch immer; kurz gesagt:) Hintern hoch und los geht’s!
Da ich es
chronologisch ja nicht auf die Kette bekommen habe, entscheide ich mich hiermit
für eine neue Erzählstruktur: was mir gerade zufällig in den Kopp kommt. Mal
sehen was draus wird.
Also, ich habe
meinen ersten Winter in Kanada überlebt und entgegen aller Erwartungen bin ich
nicht direkt erfroren. Doch ich sage euch, ich war verdammt nah dran.
Ab Anfang
Dezember war die Stadt komplett eingeschneit. Im Gegensatz zu Deutschland hält
hier jedoch nicht ab einer Schneedecke von 10cm das Leben komplett an, was
selbstverständlich ist, wenn man bedenkt, dass der Schnee bis April liegen
bleibt. Ein Aussetzten des Alltagslebens für mehrere Monate verkraftet das Land
wirtschaftlich nicht, nehme ich an. Autos, Busse und Züge fahren, Flugzeuge
heben ab. Als ich mal das Konzept „schneefrei“ erwähnte, lachten meine
kanadischen Kollegen mich aus und dachten, ich habe mir diesen lächerlichen
Begriff ausgedacht. Straßen und Bürgersteige (!) werden mehrmals täglich geräumt.
Aber wohin mit dem Schnee? Es schmilzt ja nichts weg, aber ständig kommt neues
nach, man kann das Zeug also nicht einfach an den Straßenrand schieben (außer
man möchte eine meterhohe Mauer zwischen Straße und Bürgersteig errichten). Die
Lösung: der Schnee wird mit LKWs aus der Stadt gebracht und dort einfach auf
leeren Flächen abgeladen. So kommt es, dass wenn man im Mai bei sommerlichen
Temperaturen, wenn aller Schnee bereits geschmolzen ist, aus der Stadt
herausfährt, draußen noch Schneeberge stehen, die ganz langsam herunterschmilzen.
Moment mal, leere
Flächen? Ja, meine Lieben, wir sind in Kanada. Und wenn es hier ein Problem
nicht gibt, ist es Platzmangel. Gut daran zu erkennen, dass es mitten in der
Innenstadt mehrere riesige unbebaute Schotterplätze gibt, auf denen absolut
nichts ist. Nichts! Nichtmal Parkplätze!
Die Sache mit dem
Schnee ist: wenn Ende November/Anfang Dezember die ersten Flocken fallen und
die Stadt zuschneit, ist es magisch. Alles ist puderzuckerweiß wie in einem
Wintermärchen. Innerhalb weniger Tage wird es matschig-grau und zur Gewohnheit.
Gegen Februar will man nur noch, dass es aufhört – im Wissen, dass es noch
mindestens zwei Monate dauern wird. Frühling bedeutet: Rausgehen können ohne
sich mehrere Minuten in Kleidung einzuwickeln. Die Metrostation betreten ohne
sich panisch die soeben liebevoll angelegten Schichten vom Leib zu reißen, weil
in der Metro ca. +40 Grad herrschen. Nicht mit jedem mal Haus betreten eine
Überschwemmung im Flur verursachen, weil der Schnee, den man nicht abgetreten
bekam von den Stiefeln schmilzt. Nicht immer ein zweites Paar Schuhe
dabeihaben, damit man nicht drinnen in Astronautenähnlichen Riesenstiefeln
rumstapfen muss (ohne die einem draußen innerhalb kürzester Zeit die Zehen
abfrieren).
Eins meiner
krassesten Kälteerlebnisse war der europäische Weihnachtsmarkt, obwohl es wohl
„nur“ so -17° gewesen sind. Den ganzen Dezember über schwelgte ich in
nostalgischen Erinnerungen an den deutschen Weihnachtsmarkt. Ich fragte mich:
warum ist das denn gerade hier so überhaupt nicht populär? Die winterliche
Kälte schreit doch geradezu nach Glühwein und Bratwurst! Ich sollte es
herausfinden. Ich machte also im Internet einen europäischen Weihnachtsmarkt
ausfindig, der in der Altstadt stattfinden sollte. Voller Vorfreude auf Fress-
und Trinkbuden machte ich mich auf den Weg. Als ich ankam war ich erst einmal
enttäuscht: auf einem Platz größenmäßig in etwa vergleichbar mit der Schulaula
einer kleinen Grundschule standen lediglich ein paar Hütten mit verschiedenen Länderflaggen.
Über die Hälfte davon Québec-Flaggen. Versteht mich nicht falsch, ich liebe
Québec, aber unter europäisch hatte ich mir doch etwas anderes vorgestellt (zum
Beispiel Länder, die sich tatsächlich in Europa befinden, um das Konzept hier
mal zu präzisieren). Es gab einen „deutschen“ Stand an dem sie (vorwiegend
schweizerische) Süßigkeiten verkauften, einen Schweizer Wurststand und mehrere
Elsass-Stände. Ich dachte mir: so, ich bin hier nicht vergeblich angetanzt,
jetzt wird geschlemmt. Und wenn es keine Bratwurst gibt, nehme ich eben nen
Elsässer Flammkuchen. Man muss arbeiten mit dem, was da ist, dachte ich. Böser
Fehler. Ich hätte es wissen müssen als ich sah, dass alle anderen sich ihre
Flammkuchen einpacken ließen. Aber ich dachte mir: „Nix da, auf die Faust, wie
es sich gehört.“ Dies wurde dann zu der Situation meines Lebens, bei der ich
dem Verlust von Gliedmaßen durch erfrieren am nächsten war. Um den Flammkuchen
zu essen, musste ich meine grobschlächtigen Handschuhe ausziehen. Der Kälte
ausgesetzt, froren meine Hände augenblicklich ein und jedes mal, wenn vom
Flammkuchen heißes Fett auf meine Hände tropfte, schmerzte die gefrorene Haut
an dieser Stelle noch mehr. Ich schlang das Ding so schnell wie es mir mit
meinem eingefrorenen Kiefer möglich war herunter. (Den Snack aufgeben um dem
Erfrierungstod zu entkommen? Nicht mit mir!). Danach hetzte ich zur Metro und
zog während der 40 minütigen Fahrt nicht ein einziges Kleidungsstück aus, so dass ich mich in einer Art körpereigenen
Mikrowelle befand, bis ich meine Gliedmaßen wieder spüren konnte.
Die kälteste
Temperatur, der ich länger als einen Sprint lang zur nächsten Metrostation
ausgesetzt war, waren ca. -32° beim Iglofest. Das Iglofest ist ein bisschen wie
das Piknic Elektronic (siehe einer der vorherigen Einträge), aber im Winter.
Das heißt es wird ein kleines Festivalgelände aus Schneeblöcken erbaut, eine
Bühne installiert und die ganze Nacht über elektronische Musik aufgelegt. Die
Leute tanzen bei -30° draußen. Das Iglofest ist sicherlich eins der wenigen
elektronischen Musikfestivals in denen 90% des Publikums Schneeanzüge tragen.
Ein Bild für die Götter. Ich hätte es zu gern fotografiert, hatte auch meinen
Fotoapparat dabei, aber es war echt zu kalt. Ich konnte mich trotz drei
Schichten Hose und Socken + Stiefel und Daunenwintermantel nicht bewegen, weil
ich komplett eingefroren war. Es wurde so schlimm, dass ich die Wahnvorstellung
entwickelte, mein Blut konzentriere sich auf die lebenswichtigen Organe und
könne deswegen nicht mehr meine Verdauungsorgane versorgen. Ich trieb es so
weit, dass ich letztendlich den Wunsch verspürte mich zu übergeben (weil ja
kein Blut mehr in meinem Magen war und ich deshalb alles loswerden musste, „was
keine Miete zahlt“, um mal meinen ehemaligen Volleyballtrainer Tom zu zitieren).
Arthur war so lieb das Iglofest mit mir nach wenigen Minuten wieder zu
verlassen, obwohl wir 15$ für die Karten bezahlt hatten. Nächstes Jahr werde
ich es nochmal wagen: Schneeanzug ich komme!
Ich möchte damit
nicht sagen, dass ich den Winter hier hasse, aber er gehört sicher zu den
Umständen, an die mir die Anpassung schwer fiel. Und fällt. Der nächste Winter
steht vor der Tür. Und jetzt gehöre ich zu der Gruppe von Leuten, die den
Neuankömmligen durch ihre Anekdoten (s.o.) Angst einjagen. Und so schließt sich
der Kreis.
So, das war er. Mein
erster Blogeintrag nach fast einem Jahr. Irgendwo muss man mal anfangen. Und
ich dachte mir, der kanadische Winter ist etwas, dass für
euch interessant sein könnte. Und wenn ihr es bis hier hin geschafft habt, war
es ja vielleicht sogar interessant. Oder ihr seid einfach nur treue Freunde. Oder
ihr habt ein Problem damit, etwas zu beenden, auch wenn ihr es langweilig
findet. Dann solltet ihr daran arbeiten. Vielleicht gibt es ja bald ein paar
neue Blogeinträge, an denen ihr euch trainieren könnt. Vielleicht auch nicht
(Neue Strategie: Erwartungen immer niedrig halten).